Post by Admin on Jan 1, 2018 18:13:12 GMT 1
Europas Grenzschutz ist kaputt, viele Staaten kontrollieren wieder selbst. Die EU-Staaten bauen an einem neuen System. Kehrt 2018 das Europa der offenen Grenzen zurück?
Es gibt einen kleinen Winzerort im Dreiländereck von Luxemburg, Deutschland und Frankreich, der für die Europäische Union wichtig ist wie kaum ein anderer. In Schengen wurde 1985 jener Vertrag unterzeichnet, der die Abschaffung von Grenzkontrollen besiegelte, einer der Kerngedanken der europäischen Integration. Dafür erhält die luxemburgische Kleinstadt2018das Europäische Kulturerbe-Siegel.
Doch die EU vergibt die Auszeichnung zu einer Zeit, in der es denkbar schlecht um das gleichnamige Abkommen und seinen Geist der offenen Grenzen steht: Sechs der 26 Schengenstaaten haben im Zeitraum seit 2015 die Regeln des Schengenraums außer Kraft gesetzt und wieder Polizisten zur Kontrolle an die Grenzen geschickt. Sie sahen sich nicht in mehr in der Lage, die vielen einreisenden Flüchtlinge ordentlich zu registrieren. Angst vor weiteren Terroranschlägen wurde zum zweiten Grund für die Einschränkung der Reisefreiheit.
Das alles sollte kein Dauerzustand werden, mahnte die EU immer wieder. "Wenn Schengen stirbt, wird Europa sterben", sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Mehr als zwei Jahre später wird jedoch noch immer an den Binnengrenzen von sechs Ländern kontrolliert.
Und nächstes Jahr? Wird das Europa ohne Grenzen wieder Wirklichkeit, wenn die EU Schengen offiziell zum Kulturerbe erklärt?
Bis wann wird kontrolliert?
Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen haben ihre Grenzkontrollen im November noch einmal bis zum 12. Mai 2018 verlängert. Frankreich soll zum 30. April 2018 die Kontrollen einstellen. Soweit die Theorie. Rechtlich gesehen könnten die Kontrollen bis Herbst 2019, also noch mal fast zwei Jahre lang, andauern.
Denn Deutschland und die anderen Länder haben den Schengener Grenzkodex geschickt ausgenutzt: Im Herbst wollte die EU-Kommission die Grenzkontrollen endgültig nicht mehr verlängern. Also führten sie die Länder in nationaler Verantwortung weiter, möglich macht das ein anderer Artikel im Schengenkodex. Das bestätigte das Bundesinnenministerium ZEIT ONLINE. Die zulässige Laufzeit der Kontrollen von maximal zwei Jahren startete somit im November neu.
Zwar sind sich alleeinig, dass die offenen Grenzen von Schengen das Ziel sind. Die Kontrollen verursachen auch "bedeutende wirtschaftliche Kosten", warnte die Kommission. Sie schätzte 2016 allein die direkten Kostenfür die europäische Wirtschaft auf 5 bis 18 Milliarden Euro pro Jahr – wenn etwa Warentransporte länger dauern.
Trotzdem hat die EU-Kommission vorgeschlagen, den Schengenkodex so zu ändern, dass bis zu drei Jahre lang Kontrollen an den Binnengrenzen möglich wären. Als Kompromiss werden die Hürden künftig höher sein, um überhaupt Grenzkontrollen einzuführen. Sollte der Europäische Rat dem 2018 zustimmen, könnten die Kontrollen also bis 2020 dauern. Und solange die EU kein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, hat Deutschland ohnehin keine Konsequenzen zu befürchten. Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht kritisierte das: "Ab einem bestimmten Punkt muss sich die Kommission fragen, ob sie als Hüterin der Verträge noch ihren Job macht."
Die Bundesregierung gibt keine klare Antwort auf die Frage, ob Deutschland im Mai seine Bundespolizisten von der Grenze abziehen wird. "Die Lageentwicklung an den betroffenen Binnengrenzabschnitten wird auch weiterhin sorgfältig beobachtet und analysiert", sagte eine Sprecherin des Innenministerium. "Über das weitere Vorgehen wird zu gegebener Zeit zu entscheiden sein." Dänemark plant feste Kontrollposten sogar im nächsten Haushalt ein.
Die Frage der Außengrenzen
Die EU-Außengrenzen seien zu schlecht geschützt, so begründen die Länder im Herzen Europas die Aussetzung der Schengenregeln. "Solange die EU-Außengrenzen nicht sicher genug sind, wird es auch das Erfordernis von Binnengrenzkontrollen geben", sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im September.
Die EU hat längst reagiert. Die Grenzschutzagentur Frontex wurde ausgebaut und hat jetzt 1.700 Mitarbeiter in Europa im Einsatz und eine Reservetruppe von 1.500 Grenzschützern, die im Notfall schnell eingesetzt werden können. Außerdem führt Frontex "Stresstests" durch. Die Agentur analysiert etwa die Zahl der Grenzschützer und deren Ausrüstung oder simuliert Ausnahmesituationen, um Schwachstellen aufzudecken. Innerhalb einer bestimmten Frist müssen die Mitgliedsstaaten die Mängel beheben. Zu den Ergebnissen des ersten Tests schweigt sie jedoch. Im Frühjahr 2018 wird Frontex zum zweiten Mal testen.
Die EU-Kommission ist zufrieden mit dem neuen Frontex-Modell. Es sollte die Notwendigkeit für Kontrollen an den Binnengrenzen "signifikant einschränken", heißt es in einem Schreiben. Deutschland weicht aus bei der Frage, ob die Bundesregierung das auch so sieht. Es sei ein "wichtiger Schritt", aber Frontex könne nur eine unterstützende Rolle einnehmen. Es läge in der nationalen Verantwortung der Länder an den Rändern der EU, die Außengrenzen zu sichern. Wenn es um die Frage gehe, ob Binnengrenzkontrollen weiter notwendig seien, sei die "Gesamtlage" entscheidend.
Intelligente Grenzen und mehr Schengenmitglieder
Die Gesamtlage bedeutet außerdem: Die Asylpolitik in der EU muss sich in vielen Bereichen ändern, doch es ist schwierig die unterschiedlichen Wünsche der Mitgliedsstaaten so zu vereinen, dass alle zufrieden sind. Ein hoher EU-Beamte nannte all diese Bemühungen kürzlich "einen Zauberwürfel, den wir drehen müssen, damit sich alle wiederfinden können".
Es wird erwartet, dass sich die EU und die Mitgliedsstaaten 2018 auf Reformen des Dublin-Systems einigen. Das regelt die Zuständigkeit für Asylverfahren und soll eigentlich Sekundärmigration verhindern, dass Asylbewerber also nach ihrer Ankunft innerhalb der EU weiterreisen. Das klappt zurzeit nicht, kritisiert Deutschland immer wieder. Geplant ist auch, dass das EU-Asylbüro EASO im nächsten Jahr zur vollwertigen Europäischen Asylagentur wird. Das soll helfen, Verfahren zu beschleunigen und Bedingungen für die Flüchtlinge in den EU-Ländern angleichen. Und es soll alle EU-Länder davon überzeugen, dass Kontrollen im Schengenraum nicht mehr nötig sind.
Gleichzeitig könnten neue Schengenaußengrenzen dazukommen. "Wenn wir den Schutz unserer Außengrenzen verstärken wollen, dann müssen wir Rumänien und Bulgarien unverzüglich den Schengenraum öffnen", sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im September. Kroatien solle folgen, sobald es die Bedingungen erfüllt.
Für die mittlerweile zehnjährigen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien wird das Ende der Grenzkontrollen seit Jahren diskutiert und sie erfüllen bereits die formalen Bedingungen. Im Europaparlament kündigte EU-Innenkommissar Avramopoulos im Dezember an, dass die Entscheidung über die Schengenerweiterung "in den kommenden Monaten" auf der Tagesordnung des Rats der Staats- und Regierungschefs landen werde. Sie müssen einstimmig zustimmen. In Deutschland ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière skeptisch: Es sei noch "ein ziemlich langer Weg" für beide Länder. Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum ist dafür, Bulgarien und Rumänien in den Schengenraum aufzunehmen.
Unsichtbare Grenzkontrollen
Die Alternative zu Schlagbäumen an Grenzen sind mehrelektronische Informationen über Reisende. "Intelligente Grenzen" nennt die EU das, und dort wird sich in den kommenden Jahren einiges ändern: Seit Längerem arbeitet die EU daran, Sicherheitsdaten zu verknüpfen und ein neues Einreisesystem einzurichten. Bisher gibt es eine Datenbank für Visa-Inhaber, eine für Asylbewerber, eine für Einreisen in die EU und eine für Gefährder. "Das ist viel zu kompliziert – und führt zu Informationslücken, die es Terroristen ermöglichen, sich hinter verschiedenen falschen Identitäten zu verstecken", sagte EU-Sicherheitskommissar Julian King.
Polizisten, Grenzer und Visa-Beamte in Europa sollen künftig über eine einfache Suchmaske Zugriff auf diverse EU-Datenbanken bekommen, etwa um biometrische und biografische Informationen zu überprüfen. Auch Datenbanken der Polizeibehörde Europol, das Europäische Strafregister Ercris sowie Fluggastdaten sollen irgendwann Teil der großen Suchmaske werden.
Die EU will außerdem ein elektronisches System zur Reisegenehmigung einrichten, ähnlich wie die Esta-Genehmigung in den USA. Reisende, die für den Schengenraum kein Visum brauchen (etwa 60 Länder, z.B. die USA, Balkanländer, Japan), müssen sich dann vor der Einreise registrieren und werden auf Sicherheitsrisiken überprüft. So wird außerdem sichtbar, ob sie länger als erlaubt im Schengenraum bleiben. Über das EU-System namens Etias wird im nächsten Jahr weiter mit dem Europaparlament verhandelt, sein Start wird aber noch bis etwa 2020 dauern.
Dass Datenbanken mit sensiblen Informationen verknüpft werden und neue Kontrollsysteme zur Überprüfung nicht fest gefasster Sicherheitsrisiken geschaffen werden, bereitet Datenschützern Sorgen. Es gehe nur darum, die bereits vorhandenen Informationen besser zu teilen, versicherte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Dann bräuchten die Behörden aber auch mehr Personal, um die Informationen auszuwerten, sagte der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. Sonst drohe das Prinzip: "Jeder sammelt einfach alles, um auf Nummer sicher zu gehen."
Vor allem ist das Versprechen der intelligenten Grenzen nichts, was kurzfristig den Grenzschutz verbessert. Die Umsetzung ist technisch hochkompliziert – etwa die unterschiedlichen Zugriffsrechte verschiedener Behörden zu regeln. "Das hat auch in den USA Jahre gedauert", sagte der EU-Sicherheitsforscher Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die EU beschließt so viel gleichzeitig, während die Umsetzung bereits beschlossener Vorhaben noch nicht richtig läuft." Viele kleinere Mitgliedsstaaten hätten nicht die Technik oder das Geld, um Anforderungen der intelligenten Grenzen schnell umzusetzen. Und die zuständige EU-Agentur eu-LISA, die mehr Kompetenzen erhalten soll, muss erst mal genügend neues Personal finden und einarbeiten.
Es gibt einen kleinen Winzerort im Dreiländereck von Luxemburg, Deutschland und Frankreich, der für die Europäische Union wichtig ist wie kaum ein anderer. In Schengen wurde 1985 jener Vertrag unterzeichnet, der die Abschaffung von Grenzkontrollen besiegelte, einer der Kerngedanken der europäischen Integration. Dafür erhält die luxemburgische Kleinstadt2018das Europäische Kulturerbe-Siegel.
Doch die EU vergibt die Auszeichnung zu einer Zeit, in der es denkbar schlecht um das gleichnamige Abkommen und seinen Geist der offenen Grenzen steht: Sechs der 26 Schengenstaaten haben im Zeitraum seit 2015 die Regeln des Schengenraums außer Kraft gesetzt und wieder Polizisten zur Kontrolle an die Grenzen geschickt. Sie sahen sich nicht in mehr in der Lage, die vielen einreisenden Flüchtlinge ordentlich zu registrieren. Angst vor weiteren Terroranschlägen wurde zum zweiten Grund für die Einschränkung der Reisefreiheit.
Das alles sollte kein Dauerzustand werden, mahnte die EU immer wieder. "Wenn Schengen stirbt, wird Europa sterben", sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Mehr als zwei Jahre später wird jedoch noch immer an den Binnengrenzen von sechs Ländern kontrolliert.
Und nächstes Jahr? Wird das Europa ohne Grenzen wieder Wirklichkeit, wenn die EU Schengen offiziell zum Kulturerbe erklärt?
Bis wann wird kontrolliert?
Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen haben ihre Grenzkontrollen im November noch einmal bis zum 12. Mai 2018 verlängert. Frankreich soll zum 30. April 2018 die Kontrollen einstellen. Soweit die Theorie. Rechtlich gesehen könnten die Kontrollen bis Herbst 2019, also noch mal fast zwei Jahre lang, andauern.
Denn Deutschland und die anderen Länder haben den Schengener Grenzkodex geschickt ausgenutzt: Im Herbst wollte die EU-Kommission die Grenzkontrollen endgültig nicht mehr verlängern. Also führten sie die Länder in nationaler Verantwortung weiter, möglich macht das ein anderer Artikel im Schengenkodex. Das bestätigte das Bundesinnenministerium ZEIT ONLINE. Die zulässige Laufzeit der Kontrollen von maximal zwei Jahren startete somit im November neu.
Zwar sind sich alleeinig, dass die offenen Grenzen von Schengen das Ziel sind. Die Kontrollen verursachen auch "bedeutende wirtschaftliche Kosten", warnte die Kommission. Sie schätzte 2016 allein die direkten Kostenfür die europäische Wirtschaft auf 5 bis 18 Milliarden Euro pro Jahr – wenn etwa Warentransporte länger dauern.
Trotzdem hat die EU-Kommission vorgeschlagen, den Schengenkodex so zu ändern, dass bis zu drei Jahre lang Kontrollen an den Binnengrenzen möglich wären. Als Kompromiss werden die Hürden künftig höher sein, um überhaupt Grenzkontrollen einzuführen. Sollte der Europäische Rat dem 2018 zustimmen, könnten die Kontrollen also bis 2020 dauern. Und solange die EU kein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, hat Deutschland ohnehin keine Konsequenzen zu befürchten. Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht kritisierte das: "Ab einem bestimmten Punkt muss sich die Kommission fragen, ob sie als Hüterin der Verträge noch ihren Job macht."
Die Bundesregierung gibt keine klare Antwort auf die Frage, ob Deutschland im Mai seine Bundespolizisten von der Grenze abziehen wird. "Die Lageentwicklung an den betroffenen Binnengrenzabschnitten wird auch weiterhin sorgfältig beobachtet und analysiert", sagte eine Sprecherin des Innenministerium. "Über das weitere Vorgehen wird zu gegebener Zeit zu entscheiden sein." Dänemark plant feste Kontrollposten sogar im nächsten Haushalt ein.
Die Frage der Außengrenzen
Die EU-Außengrenzen seien zu schlecht geschützt, so begründen die Länder im Herzen Europas die Aussetzung der Schengenregeln. "Solange die EU-Außengrenzen nicht sicher genug sind, wird es auch das Erfordernis von Binnengrenzkontrollen geben", sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im September.
Die EU hat längst reagiert. Die Grenzschutzagentur Frontex wurde ausgebaut und hat jetzt 1.700 Mitarbeiter in Europa im Einsatz und eine Reservetruppe von 1.500 Grenzschützern, die im Notfall schnell eingesetzt werden können. Außerdem führt Frontex "Stresstests" durch. Die Agentur analysiert etwa die Zahl der Grenzschützer und deren Ausrüstung oder simuliert Ausnahmesituationen, um Schwachstellen aufzudecken. Innerhalb einer bestimmten Frist müssen die Mitgliedsstaaten die Mängel beheben. Zu den Ergebnissen des ersten Tests schweigt sie jedoch. Im Frühjahr 2018 wird Frontex zum zweiten Mal testen.
Die EU-Kommission ist zufrieden mit dem neuen Frontex-Modell. Es sollte die Notwendigkeit für Kontrollen an den Binnengrenzen "signifikant einschränken", heißt es in einem Schreiben. Deutschland weicht aus bei der Frage, ob die Bundesregierung das auch so sieht. Es sei ein "wichtiger Schritt", aber Frontex könne nur eine unterstützende Rolle einnehmen. Es läge in der nationalen Verantwortung der Länder an den Rändern der EU, die Außengrenzen zu sichern. Wenn es um die Frage gehe, ob Binnengrenzkontrollen weiter notwendig seien, sei die "Gesamtlage" entscheidend.
Intelligente Grenzen und mehr Schengenmitglieder
Die Gesamtlage bedeutet außerdem: Die Asylpolitik in der EU muss sich in vielen Bereichen ändern, doch es ist schwierig die unterschiedlichen Wünsche der Mitgliedsstaaten so zu vereinen, dass alle zufrieden sind. Ein hoher EU-Beamte nannte all diese Bemühungen kürzlich "einen Zauberwürfel, den wir drehen müssen, damit sich alle wiederfinden können".
Es wird erwartet, dass sich die EU und die Mitgliedsstaaten 2018 auf Reformen des Dublin-Systems einigen. Das regelt die Zuständigkeit für Asylverfahren und soll eigentlich Sekundärmigration verhindern, dass Asylbewerber also nach ihrer Ankunft innerhalb der EU weiterreisen. Das klappt zurzeit nicht, kritisiert Deutschland immer wieder. Geplant ist auch, dass das EU-Asylbüro EASO im nächsten Jahr zur vollwertigen Europäischen Asylagentur wird. Das soll helfen, Verfahren zu beschleunigen und Bedingungen für die Flüchtlinge in den EU-Ländern angleichen. Und es soll alle EU-Länder davon überzeugen, dass Kontrollen im Schengenraum nicht mehr nötig sind.
Gleichzeitig könnten neue Schengenaußengrenzen dazukommen. "Wenn wir den Schutz unserer Außengrenzen verstärken wollen, dann müssen wir Rumänien und Bulgarien unverzüglich den Schengenraum öffnen", sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im September. Kroatien solle folgen, sobald es die Bedingungen erfüllt.
Für die mittlerweile zehnjährigen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien wird das Ende der Grenzkontrollen seit Jahren diskutiert und sie erfüllen bereits die formalen Bedingungen. Im Europaparlament kündigte EU-Innenkommissar Avramopoulos im Dezember an, dass die Entscheidung über die Schengenerweiterung "in den kommenden Monaten" auf der Tagesordnung des Rats der Staats- und Regierungschefs landen werde. Sie müssen einstimmig zustimmen. In Deutschland ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière skeptisch: Es sei noch "ein ziemlich langer Weg" für beide Länder. Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum ist dafür, Bulgarien und Rumänien in den Schengenraum aufzunehmen.
Unsichtbare Grenzkontrollen
Die Alternative zu Schlagbäumen an Grenzen sind mehrelektronische Informationen über Reisende. "Intelligente Grenzen" nennt die EU das, und dort wird sich in den kommenden Jahren einiges ändern: Seit Längerem arbeitet die EU daran, Sicherheitsdaten zu verknüpfen und ein neues Einreisesystem einzurichten. Bisher gibt es eine Datenbank für Visa-Inhaber, eine für Asylbewerber, eine für Einreisen in die EU und eine für Gefährder. "Das ist viel zu kompliziert – und führt zu Informationslücken, die es Terroristen ermöglichen, sich hinter verschiedenen falschen Identitäten zu verstecken", sagte EU-Sicherheitskommissar Julian King.
Polizisten, Grenzer und Visa-Beamte in Europa sollen künftig über eine einfache Suchmaske Zugriff auf diverse EU-Datenbanken bekommen, etwa um biometrische und biografische Informationen zu überprüfen. Auch Datenbanken der Polizeibehörde Europol, das Europäische Strafregister Ercris sowie Fluggastdaten sollen irgendwann Teil der großen Suchmaske werden.
Die EU will außerdem ein elektronisches System zur Reisegenehmigung einrichten, ähnlich wie die Esta-Genehmigung in den USA. Reisende, die für den Schengenraum kein Visum brauchen (etwa 60 Länder, z.B. die USA, Balkanländer, Japan), müssen sich dann vor der Einreise registrieren und werden auf Sicherheitsrisiken überprüft. So wird außerdem sichtbar, ob sie länger als erlaubt im Schengenraum bleiben. Über das EU-System namens Etias wird im nächsten Jahr weiter mit dem Europaparlament verhandelt, sein Start wird aber noch bis etwa 2020 dauern.
Dass Datenbanken mit sensiblen Informationen verknüpft werden und neue Kontrollsysteme zur Überprüfung nicht fest gefasster Sicherheitsrisiken geschaffen werden, bereitet Datenschützern Sorgen. Es gehe nur darum, die bereits vorhandenen Informationen besser zu teilen, versicherte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Dann bräuchten die Behörden aber auch mehr Personal, um die Informationen auszuwerten, sagte der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. Sonst drohe das Prinzip: "Jeder sammelt einfach alles, um auf Nummer sicher zu gehen."
Vor allem ist das Versprechen der intelligenten Grenzen nichts, was kurzfristig den Grenzschutz verbessert. Die Umsetzung ist technisch hochkompliziert – etwa die unterschiedlichen Zugriffsrechte verschiedener Behörden zu regeln. "Das hat auch in den USA Jahre gedauert", sagte der EU-Sicherheitsforscher Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die EU beschließt so viel gleichzeitig, während die Umsetzung bereits beschlossener Vorhaben noch nicht richtig läuft." Viele kleinere Mitgliedsstaaten hätten nicht die Technik oder das Geld, um Anforderungen der intelligenten Grenzen schnell umzusetzen. Und die zuständige EU-Agentur eu-LISA, die mehr Kompetenzen erhalten soll, muss erst mal genügend neues Personal finden und einarbeiten.